Leben in Zeiten von Corona #2

Wie fühlen sich Oberschüler in Südkorea angesichts der Pandemie? Wo liegen die Herausforderungen für das Schulsystem? Was sind ihre Träume und Wünsche?

Das südkoreanische Bildungssystem, das für seine leistungsstarken Schüler bekannt ist, ist sehr anspruchsvoll. Die Schüler verbringen einen Großteil ihrer Zeit – zwischen 12 und 16 Stunden pro Tag – in der Schule oder in einer speziellen außerschulischen Akademie namens 학원 Hagwon.

Heute treffe ich drei Highschool-Schülerinnen in Busan. Kim Tae-yeong ist 17 und studiert an der Busan Mechanical Technical High School mit dem Schwerpunkt Schiff- und Maschinenbau, Jeong Hye-yeon ist 17 und studiert an der Busan Girl’s High School, und Choi Yu-jin, die ebenfalls 17 ist, an derSungil Girl’s High School.

Wie ist euer Tagesablauf?

Tae-yeong: Ich wohne in einem Schulwohnheim und gehe um 6:20 Uhr, gleich nach dem Aufstehen, auf  den Schulsportplatz, wo wir Jugendgymnastik machen. Anschliessend gibt es das Frühstück in der Schulcafeteria. Seit Corona gibt es eine strikte Tischordnung und man darf nur mit seiner Klasse am gleichen Tisch sitzen. Die Klassen sind mit durchsichtigen Trennwänden vorneinander geteilt. Wenn ich mit dem Essen fertig bin, gehe ich zurück in den Schlafsaal, wasche mich, ziehe meine Schuluniform an und mache mich für die Schule fertig.

Hye-yeon: Wegen der Corona-Pandemie verbringe ich die meiste Zeit zu Hause. Ich schlafe länger als üblich und bin auch nicht mehr so in Form.

Yu-jin: Mmm…Es fühlt sich so ungewohnt an, dass ich nicht mehr regelmäßig zur Schule gehe, obwohl wir noch keine Ferien haben. Wenn wir in der Schule Präsenzunterricht haben, stellen wir unsere Tische mit dem geforderten Abstand auf und nehmen so am Unterricht teil.

Früher waren wir oft traurig, weil wir unsere Freunde nicht sehen konnten. | Daniel Thomas Faller

Wie funktioniert das Schulsystem?

Tae-yeong: In der Meisterschule (diese ist vergleichbar mit einer  “Berufsschule”, also eine Kombination von theoretischem Lernen und einem Betriebspraktikum), wohnten früher alle Schüler in den dafür vorgesehenen Wohnheimen. Wegen Corona ist das Wohnen im Studentenwohnheim optional. Neben den Schlafsälen gibt es Studienräume, in denen wir lernen können. Früher konnten wir dort bis 1 Uhr nachts lernen, aufgrund der Einschränkungen ist nun aber um 23:30 Uhr Sperrstunde.

Das Hybridsystem gilt für die ganze Schule. Dies bedeutet, dass wir jeweils während zwei Wochen lang Präsenzunterricht haben und die anderen zwei Wochen via Fernstudium teilnehmen. In den ersten zwei Wochen gehen zum Beispiel die Erstklässler in die Schule, während die Zweitklässler am Online-Unterricht von zu Hause aus teilnehmen. Und in den nächsten zwei Wochen läuft es umgekehrt. Die Drittklässler hingegen kommen jeden Tag in die Schule, weil sie den CSAT ablegen müssen. Der College Scholastic Ability Test ist ein Test, den die Schüler bestehen müssen, wenn sie auf die Universität gehen wollen. Bekanntlich ist dieser sehr anspruchsvoll und es ist eher die Regel, als die Ausnahme, Nachhilfeunterricht dafür zu nehmen. Einige besuchen auch eine “Cram School” in dieser Phase, um gute Noten zu bekommen. Der Unterricht beginnt um 8:30 Uhr und endet um 16:20 Uhr. Bis auf das Tragen einer Maske und die Distanzregelung ist alles normal.

Wie läuft der Online-Unterricht ab?

Tae-yeong: Die Schüler haben gleich viel Lektionen, wie sonst. Wenn man nicht pünktlich zum Unterricht erscheint, bekommt man eine Absenz, was sich schlecht auf die spätere Jobsuche auswirkt. Deshalb versuchen die meisten Studenten, pünktlich zum Unterricht zu erscheinen. In Online-Kursen lernen die Schüler den gleichen Stoff, den sie auch im Unterricht lernen würden. Sie haben etwa zehn Fächer, wie zum Beispiel Koreanisch, Englisch, Mathematik, Sozialkunde, Naturwissenschaften usw. Je höher die Klasse, desto mehr praktischer Unterricht findet statt. Zum Beispiel habe ich in der ersten Klasse wöchentlich drei Stunden praktischen Unterricht im Schweissen gehabt.

Hye-yeon: In unserer Schule haben einige Klassen online Vorlesungen via Zoom. Es gibt aber auch Unterricht mit bereits voraufgezeichneten Trainingsvideos. In der ersten Stunde am Morgen lege ich mich auf mein Bett und höre mir die voraufgezeichnete Vorlesung an, wie wenn ich Radio hören würde (lacht).

Yu-jin: Ich beneide Hye-yeon um ihr Schulsystem. In meiner Schule sind alle Lektionen Online-Vorlesungen. Es gibt einige Vorlesungen, in denen man die Kamera einschalten und sein Gesicht zeigen muss. Das finde ich anstrengend, da ich mich selber sehen und mich darum bemühen muss, einigermassen gut auszusehen.

Es ist schwer, sich auf den Online-Kurs zu konzentrieren, weil ich ständig einschlafe.

Yu-jin Choi

Was sind die Schwierigkeiten, die durch Corona verursacht werden?

Hye-yeon: Letztes Jahr war ich in der 3. Klasse der Mittelschule und sehr traurig, weil ich meine Freunde nicht sehen konnte. Aber inzwischen bin ich eher froh, dass ich nicht zur Schule gehen muss. Denn, mit dem Bus zur Schule zu pendeln dauert gut 50 Minuten.

Tae-yeong: Es ist schade, dass es im Mai keinen Sportwettbewerb gibt. Dafür gibt es in meiner High School ein Austauschprogramm, bei dem ich mit Unterstützung der Schule für ein paar Wochen nach Australien gehen kann, vorausgesetzt ich erreiche ein gutes Ergebnis im Englischtest. Ich fände das sehr toll, aber ich weiss noch nicht, ob das Programm wegen Corona stattfinden kann.

In Online-Kursen lernen die Schüler den gleichen Stoff, den sie auch im Unterricht lernen würden. | Photographer Daniel Thomas Faller

Müsset ihr einen COVID-19-Test machen, wenn ihr zur Schule geht?

Tae-yeong: Bevor ich in die Schule kam, habe ich einen Covid-Abstrich-Test gemacht, aber jetzt muss ich nur noch einige Fragen zu meinem Gesundheitszustand auf einer App beantworten und an die Schule übermitteln. Wenn man das nicht macht, bekommt man Ärger.

Wie unterstützt dich deine Familie oder deine Freunde?

Tae-yeong: Ich fahre einmal in der Woche nach Hause, um meine Familie zu besuchen. Sie freuen sich sehr, wir verbringen viel Zeit zusammen und sie kochen sehr lecker für mich. Ein gutes Essen ist für mich eine der grössten Freuden. Wegen Corona ist die Kantine des Wohnheims geschlossen, also gibt es unter der Woche nur sehr einfache Mahlzeiten. Das Essen ist nicht schlecht, aber es ist immer das gleiche Essen und deswegen langweilig. Der Verkaufsautomat haben sie auch demontiert – nur kommt jeden Tag eine Frau nach dem Morgenunterricht und verkauft den Schülern Yakult, ein fermentiertes Joghurtgetränk.

Um sich an der Universität für Pharmazie einzuschreiben, muss Hye-yeon ihre Noten noch verbessern. | Photographer Daniel Thomas Faller

Was ist dein beruflicher Traum? Was willst du an der Universität studieren?

Tae-yeong: Ich möchte ein Unternehmen gründen und selbständig tätig sein. An die Universität kann ich auch noch später gehen. Ich bin überzeugt, dass man mit einem Unternehmen im Bereich Technik bessere Chancen hat als mit einem Studium. Im Ausland gehen viele Studenten auf technische Hochschule, aber die Koreaner haben eine negative Vorstellung davon. Ursprünglich hatte ich nicht die Absicht, auf eine technische Hochschule zu gehen, aber als ich sah, wie schwer es für meine Schwester war, eine akademische Hochschule zu besuchen und den ganzen Tag im Klassenzimmer zu sitzen, entschied ich mich mit meinen Eltern für eine technische Hochschule.

Hye-yeon: Ich möchte Pharmazie studieren. Mein Interesse an diesem Bereich wurde geweckt, als ich nach medizinischen Informationen suchten, weil ich allergisch auf Antibiotika reagiere. Um mich an der Universität für Pharmazie einzuschreiben, muss ich allerdings meine Noten verbessern. Bis jetzt hat es noch nicht geklappt, leider…(lacht). Ich mag Naturwissenschaften, aber Mathematik finde ich schwierig.

Yu-jin: Ich möchte  die Themen Hotel, Kulinarik und Gastgewerbe studieren, wenn ich aufs College gehe. Als ich jung war, habe ich davon geträumt, eine eigene Konditorei aufzumachen. Zudem möchte ich ins Ausland und die weite Welt erleben.

Yeim Choi

DADAEPO | Korea

Yeim ist gebürtige Koreanerin und lebt in Dadaepo, Busan. Sie hat viele Interessen: In unterschiedliche Kulturen einzutauchen, Sprachen zu lernen (Englisch und Indonesisch), die Welt zu erkunden, die Geschichten der Menschen zu hören, zu schreiben, zu zeichnen und Klavier zu spielen. Vor allem aber möchte sie die Welt zu einem besseren Ort machen.

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