Heimweh-Fasnächtler?

Was der Duft einer unscheinbaren Blüte auslösen kann und warum in Basel am nächsten Montagmorgen um vier Uhr die Lichter ausgehen.

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Es ist kurz vor fünf Uhr morgens in Seoul. Ich habe gerade einen der letzten Parkplätze vor dem Express-Bus-Terminal ergattert. Es ist schon viel los um diese Zeit. Hier trifft man viele Florist*innen und Blumenliebhaber*innen, die sich auf dem bekannten Blumengrossmarkt mit allerlei Grünzeug eindecken. Auch ich gehöre zu dieser Spezies, die sich gerne mit frischen Blumen den Frühling ins Wohnzimmer holt.

Schon nach kurzer Zeit wurde ich fündig. Ich entschied mich für den Ranunculus Asiaticus. Mit einem dicken Bund Blumen, eingewickelt in Zeitungspapier, mache ich mich auf den Rückweg. Als ich den Knopf für den Aufzug drücken will, lenkt mich der Anblick einer mir sehr vertrauten Blumensorte ab. Es ist die Acacia dealbata, besser bekannt unter dem Namen Mimose. In diesem Moment bleibt die Zeit für mich stehen. Ich beuge mich über die vielen gelben Blütenbüschel. Eine riesige Flut von zart duftenden Blüten will mich verführen und den Frühling einläuten. Ich schliesse die Augen. Doch es ist nicht der Frühling, der sich vor meinem geistigen Auge auftut. Es ist die Zeit des Übergangs vom Winter zum Frühling. Die Zeit des Abschieds von der kalten Jahreszeit, das Austreiben des Winters, die Zeit der Fasnacht oder in meinem Fall der Basler Fasnacht. Die Geräuschkulisse der Markthalle weicht dem sanften Klang einer mir vertrauten Piccolo-Melodie.

Mimosen sind so etwas wie die Blüten der Basler Fasnacht. | Photographer Daniel Thomas Faller

Erste Anzeichen von Heimweh? Nach acht Jahren Südkorea? Vermisse ich plötzlich die Fasnacht? Ich fühle mich in diesem Moment wie in einer Zeitmaschine. Ich bin gedanklich in meiner Kindheit angekommen. Als kleiner Knirps von sechs Jahren lernte ich bei den Opti-Mischte, einer traditionellen Basler Fasnachtsclique, den Umgang mit der Trommel. Neben dem musikalischen Handwerk wurde mir auch die Tradition dieses alten Brauchtums vermittelt. Ich erinnere mich noch heute gerne an meinen damaligen Trommellehrer Patrick. Er verstand es, den Jugendlichen den „Geist“ und die „Ehrfurcht“ der Fasnacht zu vermitteln. Eine Fasnacht, die ich viele Jahre aktiv miterleben durfte…

Kurz vor vier Uhr. Die Anspannung steigt. | Photographer Daniel Thomas Faller

Ein ungeduldiger Blumenlieferant rempelt mich von hinten an. Vorbei die Träumerei. Zurück in der Realität. Nicht etwa in einer der vielen Beizen (Restaurants) in der Innenstadt von Basel. Nein, tausende Kilometer entfernt von meiner Heimat Basel und immer noch im 3. Stock vor der Lifttüre des Blumenmarktes.

Später, auf dem Heimweg, lässt mich der Gedanke an die Mimosen, an die Basler Fasnacht nicht mehr los. Es ist schon seltsam. Letztes Jahr im Frühling ging es mir ähnlich. Damals interviewte ich in Korea einen bekannten Laternenbauer. Seine Laternen, die in Seoul am grossen Laternenumzug anlässlich des Geburtstags von Buddha die Straßen erhellen, sind in Korea sehr bekannt. Wir haben uns einen ganzen Nachmittag intensiv über den Laternenumzug in Seoul und das Laternenbauen an der Basler Fasnacht unterhalten.

Punkt vier Uhr geht das Licht aus. Basel gehört die nächsten 72 Stunden den Fasnächtler*innen. | Photographer Daniel Thomas Faller

06.30 Uhr. Draussen ist es noch dunkel und kalt. Etwas später als erwartet komme ich endlich mit meinem sorgfältig verpackten Blumenstrauss zu Hause an. Der Gedanke an das Erlebte lässt mich nicht mehr los. Wäre es Morgenstreich, wäre es jetzt Zeit für Mehlsuppe und Käsewähe (Käsekuchen). Und für einen kurzen Moment spiele ich mit dem Gedanken, in den nächsten Tagen einen Käsekuchen zu backen.

Aber bis in Basel am 27. Februar um vier Uhr morgens die Lichter ausgehen und mit dem Morgenstraich die Basler Fasnacht beginnt, sind es noch ein paar Stunden. Bis dahin habe ich noch Zeit, einen grossen Strauss Mimosen zu organisieren. Etwas mehr Glück hat unsere koreanische Autorin Yeim, die seit Anfang Februar für ein Austauschsemester in Zürich lebt. Sie wird zusammen mit dem Fotografen Carlo die Basler Fasnacht hautnah miterleben. Wir sind schon sehr gespannt auf ihren Bericht und die vielen Eindrücke. Und ich kann mir gut vorstellen, dass nach der Fasnacht auch bei ihr zu Hause ein grosser Strauss Mimosen stehen wird.

Ich jedenfalls werde am kommenden Montag noch einmal kurz die Augen schliessen und mit meinen Gedanken neuntausend Kilometer weiter nach Westen wandern.

Daniel Thomas Faller

SEOUL | Korea

Daniel ist der Gründer des Schauplatz Korea Magazins, Chefredakteur und kreativer Leiter. Er ist gebürtiger Schweizer und Korea-Liebhaber, der in Seoul lebt. Daniel interessiert sich für die Geschichten und Projekte von Menschen und hat eine Leidenschaft für visuelle Kunst und Fotografie. Gerne lässt er sich von Makgeolli verführen...

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