Wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umschaue und lese, was in den koreanischen Medien zum Thema Heiraten geschrieben wird, wird eines deutlich: Die Zahl der Eheschliessungen sinkt. So sehr, dass im beliebten Seouler Stadtteil Gangnam bereits erste Hochzeitssäle schliessen mussten.
Wird dennoch geheiratet, dann meist im westlichen Stil: weisses Kleid, festlicher Saal, ein durchgetakteter Ablauf – alles in ein bis zwei Stunden erledigt. Ein kurzes, intensives Ereignis.
Seit einigen Jahren jedoch entscheiden sich immer mehr Koreanerinnen und Koreaner bewusst gegen die Ehe. Sätze wie „Wenn du in Korea heiratest, heiratest du gleich die ganze Familie mit“ sind nicht selten. Eine besonders drastische Aussage stammt von einer jungen Frau, die meinte, viele Koreanerinnen seien so frustriert von den Männern, dass sie „lieber aussterben würden als zu heiraten“.



Umso grösser meine Freude, als ich eine Einladung zu einer Hochzeit bekomme – und merke: Dies wird keine gewöhnliche Zeremonie. Denn, Fiona und Hyungmin heiraten nach traditioneller Art. Der Bräutigam selbst hat das detaillierte Protokoll der Zeremonie ins Deutsche übersetzt – was bereits einiges über die Ernsthaftigkeit und Tiefe dieses Moments verrät.
Die traditionelle koreanische Hochzeit – Jeontong Honrye 전통 혼례, auch bekannt als Pyebaek 폐백 – ist ein symbolreiches, fast theatralisches Ritual. Sie vereint konfuzianische Elemente, farbenprächtige Gewänder, strenge Formen und starke familiäre Werte.
Was bei dieser besonderen Hochzeit auf dem Programm steht, verrät das Protokoll:
KAPITEL 1
Begrüssung & Positionierung Chorye 초례
Die Braut und der Bräutigam betreten feierlich den Zeremonienplatz, begleitet von Musik. Beide stellen sich einander gegenüber, getrennt durch einen kleinen Tisch mit symbolischen Gaben (meist Kastanien, Datteln, Töpferwaren, eine Holzente).
KAPITEL 2
Der Eintritt des Bräutigams – Besuch im Haus der Braut Chin Youg Rye 친영례
Chin Yong Rye beschreibt die Zeremonie, bei der der Bräutigam das Haus der Braut aufsucht, um sie feierlich abzuholen. Dort wird er von der Familie der Braut empfangen und begrüsst – ein feierlicher Akt, der als erster offizieller Schritt der Hochzeitszeremonie gilt.
KAPITEL 3
Der Bräutigam bringt eine Wildgans zur Familie der Braut Jeon An Rye 전안례
Der zweite Schritt der traditionellen koreanischen Hochzeitszeremonie ist die Übergabezeremonie. In dieser Zeremonie überreicht der Bräutigam symbolisch einen wundervoll verzierten Gänsekäfig an das Haus der Braut. Dies geschieht als Ausdruck seiner Bitte um die Zustimmung zur Eheschliessung und symbolisiert gleichzeitig seinen Wunsch nach Treue und einem harmonischen gemeinsamen Leben. Dabei spielt die Wildgans eine besondere Rolle. Sie ist in Korea ein Symbol der ehelichen Treue, da sie – im Gegensatz zu vielen anderen Tieren nach der Paarung keinen weiteren Partner mehr sucht und sich aufopferungsvoll allein um die Aufzucht ihrer Jungen kümmert. Weil Wildgänse oft in Paaren gesehen werden und durch ihr stets anmutiges Erscheinungsbild glänzen, galten sie seit jeher als Sinnbild einer idealen Ehepartnerschaft.
Vor allem aber steht die Wildgans für lebenslange Treue: Selbst, wenn ein einer beiden stirbt, bleibt der andere dem Partner treu. Daher trägt die Übergabe des Gänsekäfigs aus, dass das Brautpaar sein Leben lang gemeinsam in eine Richtung blickt und in Harmonie alt werden möchte. Diese tiefe symbolische Bedeutung macht das Jeon An Rye zu einem der bewegendsten Momente der traditionellen koreanischen Hochzeit. In diesem Schritt überreicht der Bräutigam symbolisch eine hölzerne Gans an die Schwiegereltern, insbesondere an die Schwiegermutter, als Zeichen seines aufrichtigen Wunsches, Teil der Familie zu werden. Der Bräutigam legt die Holz-Gans auf einen Tisch und verbeugt sich zweimal vor der Schwiegermutter. Die Schwiegermutter nimmt die Gans und trägt sie ins Haus, was die symbolische Aufnahme des Bräutigams in die Familie bedeudet.

KAPITEL 4
Verneigung Gyo Bae Rye 교배례
Der dritte Schritt ist das Gyobaerye – eine feierliche Begrüssung zwischen Braut und Bräutigam. In dieser Zeremonie begegnen sich die beidem zum ersten Mal offiziell als zukünftiges Ehepaar. Sie verbeugen sich tief voreinander, um gegenseitigen Respekt zu zeigen und harmonisches Eheleben zu geloben. Es ist vergleichbar mit dem Moment in modernen Hochzeiten, wenn sich Braut und Bräutigam am Altan zum ersten Mal begegnen und begrüssen.
KAPITEL 5
Das Trinken des Hochzeitsweins Hap Geun Rye 합근례
Der vierte Schritt ist das Hapgeunrye – ein symbolisches Trinken aus einem gemeinsamen Gefäss. Braut und Bräutigam trinken aus zwei Bechern, die aus einer Kürbisschale gemacht sind. Dieses Ritual symbolisiert, dass sie als Paar nun verbunden sind und gemeinsam in die Zukunft gehen. Es zeigt Einheit, Harmonie und das Zustandekommen der Ehe. Auch heute gibt es in modernen Hochzeiten ein ähnliches Symbol: Das gemeinsame Trinken von Sekt oder Wein während der Zeremonie – als Ausdruck gemeinsamer Freude und Verbindung.
KAPITEL 6
Erklärung der Hochzeit – Seong Hon Rye 성혼례
Seong Hon Rye ist der fünfte und bedeutendste Schritt – der Moment, in dem die Ehe offiziell als vollzogen gilt. Hier verbeugen sich Braut und Bräutigam tief vor ihren Eltern und Verwandten. Dies ist ein Ausdruck des Dankes und er Ehrfurcht gegenüber den Familien, die ihre Ehe unterstützen.


Unsere Familien haben sich sehr darüber gefreut, dass wir die jeweiligen Traditionen unserer unterschiedlichen kulturellen Hintergründe wertschätzen und bewusst zelebrieren.
– Hyungmin und Fiona
Die Hochzeitszeremonie war eindrücklich – voller Würde, Symbolik und Anmut. Und das Brautpaar hatte grosses Glück mit dem Wetter: Denn kaum war das letzte Ritual beendet, kaum das letzte Lächeln fürs Foto eingefangen, öffnete der Himmel plötzlich seine Schleusen – und es goss in Strömen.
Nach dem traditionellen Mittagessen, dem Dongrae-yeon – ein Begriff, der auf die prunkvolle Hochzeit eines Kronprinzenpaares in der Joseon-Dynastie zurückgeht –, hatte ich die Gelegenheit, mich mit Fiona und Hyungmin kurz über das Thema Heiraten in Korea zu unterhalten.

Hyungmin, was hat dich dazu bewegt, auch in Korea und vor allem nach traditioneller Art zu heiraten? Welche Gedanken oder Gefühle standen hinter dieser Entscheidung?“
Ich bin in zwei Kulturen aufgewachsen und obwohl ich vieles aus der westlichen Lebensweise übernommen habe, war es mir wichtig, meine koreanischen Wurzeln bewusst zu werden.
Die traditionelle koreanische Hochzeit ist mehr als eine Zeremonie. Sie ist ein Ausdruck von Respekt gegenüber den Eltern und Vorfahren, ein Ritual voller Symbolik, das die Verbindung zweier Familien sichtbar macht. Gleichzeitig wollte Fiona und ihre Familie einen Teil meiner Herkunft näherbringen durch ein gemeinsames Erleben. Es war berührend zu sehen, wie sehr sich auch meine Familie darüber gefreut hat, und wie Fiona diese Erfahrung mit Offenheit und Freude mitgetragen hat. Ich finde es wichtig, dass Paare ihren eigenen Weg finden, wie sie heiraten möchten – sei es modern oder traditionsverbunden.
Wie sah euer Weg zur Hochzeit aus? Gab es besondere Herausforderungen oder berührende Momente in der Vorbereitung?
Da das Korea House auf traditionelle Hochzeiten spezialisiert ist, blieb uns – im Vergleich zu einer westlichen Hochzeit – ein grosser organisatorischer Aufwand erspart. Hyungmin hat gemeinsam mit seinen Eltern die Gästeliste und Einladungen vorbereitet sowie die Hanbok-Ausleihe und den Fotografen organisiert. Am Hochzeitstag selbst konnten wir einfach nur anwesend sein und die Feier in vollen Zügen geniessen. Besonders schön war für unsere Familie die Hanbok-Anprobe, bei der wir uns farblich und traditionell passend zu den Sitten kleideten.

Samulnori ist traditionelle koreanische Percussion-Musik, bestehend aus vier Instrumenten, die jeweils ein Element der Natur symbolisieren: Kkwaenggwari (kleiner Gong) – Donner; Jing (grosser Gong) – Wind; Janggu(Sanduhrtrommel) – Regen; Buk (Fasstrommel) – Wolken. | Photographer Daniel Thomas Faller
Fiona, du bist Schweizerin und hast in einem anderen Land, in einer fremden Kultur geheiratet. Was hat dich an der Zeremonie besonders tief im Herzen berührt?
Ich finde es schön, wie in der koreanischen Kultur gegenseitiger Respekt gezeigt wird – etwa indem man sich vor den Eltern verneigt, um ihnen Dankbarkeit und Achtung auszudrücken.
Was bedeutet euch die traditionelle Hochzeitszeremonie – nicht nur kulturell, sondern auch ganz persönlich?
Für uns ist die traditionelle Hochzeitszeremonie ein Zeichen der Anerkennung und Respekt an Hyungmin’s Herkunft und gleichzeitig eine wunderbare Möglichkeit, die schweizerische Herkunft von Fiona mit der koreanischen Kultur zu vereinen.

Zwei Kulturen, zwei Rituale – wie haben eure Familien auf eure Entscheidung reagiert, westliche und koreanische Hochzeitstraditionen zu verbinden?
Wir haben uns ganz bewusst dazu entschieden, die koreanische Hochzeitstradition von der westlichen zu trennen. Unsere westliche Trauung feiern wir im Juni in der Schweiz. Unsere Familien haben sich sehr darüber gefreut, dass wir die jeweiligen Traditionen unserer unterschiedlichen kulturellen Hintergründe wertschätzen und bewusst zelebrieren.

Welche Erfahrungen oder Erkenntnisse würdet ihr anderen Paaren mit auf den Weg geben, die eine traditionelle oder interkulturelle Hochzeit planen?
Es ist wichtig, sich vorher über den Ursprung und Bedeutung der verschiedenen Elemente der traditionell koreanischen Trauung zu informieren. Nur so stellt man sicher, dass man die einzelnen Rituale richtig durchführt und die Zeremonie auch geniessen und wertschätzen kann.
Würdet ihr sagen, eure Hochzeit war mehr als ein Fest – vielleicht sogar eine Brücke zwischen Korea und der Schweiz? Wenn ja, auf welche Weise?
Wir (Hyungmin und Fiona) und auch unsere Familien sind uns mittlerweile gewöhnt an unsere unterschiedlichen Herkünfte. Es ist nicht mehr etwas, was uns auffällt. Das liegt auch daran, dass die koreanische und die Schweizer Kultur in vielen Aspekten sehr ähnlich ist. Wir sahen die koreanische Hochzeit als Möglichkeit, mit der koreanischen Seite unserer Familien zu feiern und der Herkunft von Hyungmin Respekt zu zollen.
Die traditionelle koreanische Hochzeit ist mehr als eine Zeremonie. Sie ist ein Ausdruck von Respekt gegenüber den Eltern und Vorfahren, ein Ritual voller Symbolik, das die Verbindung zweier Familien sichtbar macht.
– Hyungmin
Diese Hochzeit hat mich tief berührt – ein Moment, der nachklingt und den ich noch lange in Erinnerung behalten werde. Dem Brautpaar wünsche ich von Herzen eine glückliche, gemeinsame Zukunft – und eine ebenso wundervolle Feier in der Schweiz. Dann ganz im Zeichen der westlichen Tradition…