Heiss, Feucht und Maemi’s 매미 – der Sommer in Korea

Warum bei 300 Höhenmetern ein geübter Schweizer Wanderer an seine Grenzen stossen kann und was er sonst noch alles auf seiner Tour entdeckt.

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Die Sommermonate in Fernost sind bekannt für Hitze, Starkregen und somit eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit. Nicht gerade die ideale Reisezeit. Und schon gar nicht Wandersaison. Dennoch zieht es mich seit Jahren in den Sommermonaten immer wieder nach Südkorea. Meine Passion das Wandern führte mich dieses Mal zur Stadtmauer von Seoul, die sich über rund 17km und vier Berge erstreckt.

Mit seinen rund 22 Millionen Einwohnern ist der Ballungsraum Seoul eine der weltweit grössten Metropolregionen. Wer denkt bei einer solch pulsierenden Stadt an Grüngürtel, Naherholung oder gar an das Wandern? In diesem Beitrag möchte ich dich auf eine Wanderung entlang des nördlichen Teils der alten Festungsmauer der Hauptstadt Südkoreas mitnehmen.

Stadtmauer

Bevor wir uns auf den Weg begeben, einige wenige Informationen zur Stadtmauer. Sie wurde erstmals Ende des 14. Jahrhunderts zum Schutz der Stadt Seoul vor Eindringlingen aufgebaut, um damit die Grenzen der Stadt während der Joseon-Zeit zu markieren und verteidigen. Die Festungsmauer erstreckt sich über rund 18,6 Kilometer und führt über die vier inneren Berge Baegaksan, Inwangsan, Namsan und Naksan der südkoreanischen Hauptstadt. Die Stadtmauer wurde während der japanischen Kolonialzeit – erste Hälfte des 20. Jahrhunderts (1910-1945) – weitgehend beschädigt oder zerstört. In den letzten Jahren wurde sie umfangreich restauriert, wobei die Restaurationsarbeiten auch heute noch nicht vollständig abgeschlossen sind.

Übersichtskarte Inwangsan Wanderweg

Anreise und Start

Es ist ein Samstagmorgen und wir machen uns auf den Weg zur Stadtmauer. Dazu besteigen wir den kleinen grünen Quertierbus mit dem wir in wenigen Minuten zur nächstgelegenen Subway-Station gelangen. Dort steigen wir in die U-Bahn der Linie 4 Richtung Seoul Station. Inmitten von Einheimischen, die sich u.a. zum Einkauf begeben, erreichen wir nach wenigen Stopps die Station Hansung. Dort angekommen verlassen wir den Untergrund über den zuvor ausgemachten Exit und stehen mitten in Seoul im Bezirk Seongbuk an einer Strassenkreuzung mit jeweils 8 Fahrspuren in alle vier Himmelsrichtungen. Dennoch erreichen wir in wenigen Minuten Fussmarsch unseren Ausgangspunkt am Hyehwamun-Tor. Es ist 9 Uhr morgens und bereits hat das Thermometer die 30° Celsius erreicht bei einer Feuchtigkeit von zirka 85%.

Das Hyehwamun-Tor. | Photographer Marcel Gerber

Die ersten Meter nach dem Tor führen uns entlang der Stadtmauer, bis sich diese hinter einer mächtigen Baustellenabsperrung verstecken wird. Unmittelbar danach gelangen wir in ein kleines ruhiges Quartier – mit Häusern, welche über maximal eine Hand voll Stockwerke verfügen – in dem wir auch an einem Schulhaus mit modernem Sportplatz und etwas später an einer kleinen Kirche vorbeikommen. Wir folgen weiter den mit Klebern der Stadtmauer-Wanderung versehenen Kandelabern und achten auf die in den Asphalt eingelassenen Metallplatten, welche die Stadtmauer-Route aufskizziert haben. Die Querung einer Strasse auf einer kleinen Anhöhe bringt uns wieder an die Stadtmauer und zum Einstieg in den Grüngürtel.

Sportplatz in einem ruhigen Quartier. | Photographer Marcel Gerber
Wohnquartier im Bezirk Seongbuk. | Photographer Marcel Gerber

Eine von vielen typischen Kirchen in Korea. | Photographer Marcel Gerber

Baegaksan

Unter Schatten spendenden Bäumen marschieren wir wieder entlang der Mauer und gewinnen über eine Stein-Treppe erste Höhenmeter im Aufstieg Richtung Baegaksan. Uns begegnen zwei erste ältere einheimische Wanderer, ausgerüstet mit Kopfbedeckung, T-Shirt und Armlingen, Rucksack, Shorts sowie Trekkingschuhen.

Der Einstieg. | Photographer Marcel Gerber

Begleitet vom lauten Zirpen der Maemi 매미 (koreanische Zikaden Sseureurami 쓰르라미, in der Umgangssprache werden sie Maemi genannt), finden wir linkerhand schon bald einen ersten kleineren Park mit Fitnessstationen vor. Wer schon einmal in Korea bzw. Seoul war, dem sind all die unzähligen öffentlich zugänglichen Fitnesspunkte, welche über die gesamte Stadt und so auch in den Wäldern eingerichtet sind, sicherlich nicht entgangen. An diesem Morgen sind die Fitnessgeräte, Sportplätze für u.a. Badminton aber auch spielerische Möglichkeiten, um sich beispielsweise zwischen in verschiedenen Abständen montierten Bambusstäben seine Körpertiefe zu ermitteln, rege benutzt. Auf dem Badminton-Platz sehen wir eine Gruppe älterer Koreanerinnen und Koreaner, die sich vor oder nach ihrer sportlichen Betätigung mit einem gemeinsamen Picknick verköstigen. Wir wären nicht in Korea, wenn nicht auch Einrichtungen wie ein Schuhgebläse, mit welchem der Sand von den Schuhen geblasen werden kann oder ein sich auf Brusthöhe befindlicher Lüfter, um sich abzukühlen, vorzufinden wären.

Die Wanderwege sind bestens ausgerüstet…
…mit Schuhgebläse-Vorrichtungen und einem Open-Air Fitness Center. | Photographer Marcel Gerber

Nach diesem Intermezzo steigen wir entlang der sich prächtig präsentierenden Stadtmauer weiter empor Richtung Baegaksan. Über die Mauer hinweg zeigt sich uns immer wieder ein fantastischer Ausblick auf die Hauptstadt. Weit entfernt ist auch der Lotte-World-Tower mit seinen 555 Metern gut zu erkennen. Immer wieder Trinkpausen einlegend erreichen wir inmitten des Waldes das Sukjeongmun-Tor. Hier begegnen wir einigen älteren Herren die sich angeregt unterhalten und sehen etwas weiter hinten eine weitere Gruppe Einheimischer, welche an diesen heissen Tagen im Wald nach einer Abkühlung sucht. Weiter entlang der Stadtmauer nähern wir uns dem östlichen Informations-Zentrum.

Aufstieg zum Baegak. | Photographer Marcel Gerber

Da der Baegaksan unmittelbar hinter dem Blauen Haus (Cheongwadae 청와대) – dem ehemaligen Regierungssitz des Präsidenten – liegt, musste man sich bis noch vor kurzem registrieren lassen. Die nun ausser Betrieb gesetzte Kontrollstelle passiert, marschieren wir weiter auf dem von einem Reisblätter-Teppich überdeckten Wanderweg in Richtung Gipfel. Weiter begleitet vom gezirpte der Zikaden und im Schatten der Bäume sowie gelegentlichen Begegnungen mit gut vor der Sonne geschützten und ausgerüsteten, jüngeren und älteren Koreanern und Koreanerinnen, erreichen wir nach zirka zweieinhalb Stunden den Baegaksan, der mit seinen 342 Metern Höhe über Meer den höchsten Punkt der Stadtmauer markiert.

Abstieg vom Baegak. | Photographer Marcel Gerber
Entlang der Stadtmauern. | Photographer Marcel Gerber

Die unzähligen Stufen machen sich schon bald in der Beinmuskulatur bemerkbar.

Der Abstieg zum Changuimun-Tor führt uns hauptsächlich über eine künstlich angelegte Treppe entlang der Stadtmauer, mit Handlauf auf der von der Stadtmauer abgewandten Seite der Treppe. Die unzähligen Stufen machen sich schon bald in der Beinmuskulatur bemerkbar. Die körperlichen Strapazen werden jedoch mit dem wunderbaren Ausblick auf den gegenüberliegenden Inwangsan und der sich gut sichtbar durch kräftiges Grün hochschlängelnden Festungsmauer kompensiert. Nach dem gut halbstündigen Abstieg passieren wir das östliche Informations-Zentrum und erreichen unmittelbar danach das Zwischenziel am Changuimun-Tor.

Das Changuimun-Tor. | Photographer Marcel Gerber

Mittlerweilen ist es an diesem Hochsommertag früher Nachmittag und sowohl Temperatur als auch Luftfeuchtigkeit sind weiter gestiegen. Der Wasserverbrauch ist enorm und die Gelegenheit wird genutzt, um den Wasservorrat für den bevorstehenden Inwangsan wieder aufzufüllen.

Inwangsan

Nach dem ich mich von meiner Begleitung verabschiedete, marschiere ich mit dem Ziel Inwangsan weiter. Bei der Verzweigung zum Inwangsan entdeckte ich den mir bislang unbekannten Inwangsan Mountain Trail. Kurzerhand entscheide ich mich also, den Gipfel via den Mountain Trail über die Rückseite zu erklimmen. Der Trail mit seinen erdig sandigen Wegen, den typischen Treppen, welche die Koreaner jeweils elegant in das Gelände legen, um natürliche Hindernisse zu überwinden oder den aus Reis-Blättern erzeugten Teppichen, welche die Wanderwege überziehen, ist geschickt in den Wald des Inwangsan gelegt. Die Route präsentiert sich leicht kupiert und befindet sich praktisch ausschliesslich im Schatten, was ich an einem Tag wie diesem sehr zu schätzen weiss. Immer wieder passiere ich Plätze mit Geräten, um sich körperlich zu betätigen oder um sich einfach nur zu verweilen. Ebenso auffallend sind für mich die zahlreich vorhandenen Toiletten auf dem Trail. Ein kleiner Abstecher, zirka in der Mitte des Weges, führt mich auf eine Aussichtsplattform von wo aus ich erneut einen herrlichen Blick auf die sich bis an den Horizont erstreckende Hauptstadt Südkoreas erhaschen kann.

Etwas später gelange ich an eine kleine Schlucht, in welcher sich einige Einheimische verweilen und in den noch vorhandenen Rinnsalen ihre Füsse baden und so zu etwas Abkühlung gelangen. Bald darauf kreuzt sich der Mountain Trail mit dem Aufstieg zum Inwangsan.

So ist es wenig überraschend, dass ich einer der einzigen bin, der sich zu dieser Zeit – Anfang Nachmittag – auf diesen Aufstieg befindet.

Schon bald tangiere ich wieder die alte Festungsmauer und marschiere sodann weiter auf der steinigen Treppe entlang der Mauer. Immer wieder mit Blick hoch zum grün gekleideten Inwangsan und der sich durch dieses Grün hochschlängelnden Stadtmauer wandere ich an der prallen Sonne exponiert weiter Richtung Gipfel. Bei einer Temperatur von nun mehr 35°C und einer Luftfeuchtigkeit von rund 95%, stosse ich an meine Grenzen. So ist es wenig überraschend, dass ich einer der einzigen bin, der sich zu dieser Zeit – Anfang Nachmittag – auf diesen Aufstieg befindet. Immer wieder Pause einlegend, unter Bäumen Schatten suchend und sehr viel Wasser trinkend, erreiche ich nach etwa einer halben Stunde entlang der Festungsmauer den Gipfel des Inwangsan. Nach einer kurzen Pause nehme ich den Abstieg zum Changuimun-Tor unter die Füsse.

Ausblick zum Inwangsan. | Photographer Marcel Gerber

Auf dem Abstieg vom Baegaksan präsentierte sich der Inwangsan mit der Stadtmauer und nun vom Inwangsan richtet sich mein Blick auf den Baegaksan mit der Stadtmauer. So schliesst sich der Kreis und nach rund dreiviertel Stunden Abstieg vom Inwangsan endet meine rund sechsstündige Tour beim Changuimun-Tor.

Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich in Südkorea eine Wanderung unternehmen werde. Bei der der Saisonplanung hingegen werde ich definitiv den Herbst bevorzugen.

Marcel Gerber

ZUG | Switzerland

Die erste Reise auf die koreanische Halbinsel faszinierte ihn so sehr, dass es ihn fortan immer wieder nach Südkorea zog. Marcel supportet Schauplatz-Korea mit seinem IT-Wissen. Wo nötig codiert er auch mal einige Zeilen. Als aktiver Mensch findet er in der Natur als begeisterter Wanderer, Biker oder Skifharer den Ausgleich zum Büroalltag. Er freut sich bereits jetzt auf die nächste Fernost-Reise mit Ziel ICN.

1 Comment

  1. Vielen Dank für diese Beschreibung der interessanten Wanderung mit schönen Aussichten. Obwohl ich in Seoul geboren und in der Nähe vom “Blauen Plast” (ehemals Präsidentenpalast) aufgewachsen bin und auf dem Berg hinter dem Präsidentenpalast die Soldaten mit Freunden heimlich beobachtet habe , bevor ich in die Schweiz kam, kannte ich die Stadtmauer nicht. Aber vermutlich war damals die Gegend hinter dem Palast noch weiträumig abgeriegelte militärische Zone und möglicherweise die Stadtmauer auch noch nicht restauriert. Als Kind hatte ich noch die nächtlichen Kämpfe zwischen den nordkoreanischen Soldaten, die durch Tunnels unter der DMZ hindurch bis nach Seoul “gejoggt” waren, und den südkoreanischen Polizisten und Soldaten hautnah mitbekommen (leuchtende Geschosse flogen durch den Nachthimmel). Damals starb der Polizeikommandant von Seoul im Kampf…

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