Der Mensch im Mittelpunkt

Warum stehen akustische Erinnerungen ein Geschenk für die Ewigkeit dar? Franziska von Grünigen ist nahe dran an den Menschen und ihren berührenden Geschichten und lernt dabei eine nachdenkliche Seite der Schweiz kennen.

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Franziska von Grünigen, eine bekannte Schweizer Radio-Moderatorin, die bei allen ihren Tätigkeiten den Menschen in den Mittelpunkt stellt, beschreitet neben ihrer Arbeit beim Radio und bei Printmedien als Audiobiografin mit ihrem Projekt «Mein Nachklang» seit ein paar Jahren einen neuen Weg. Ihr werden Geschichten anvertraut, welche als Vermächtnis über das Lebensende hinaus nachklingen. Das folgende Interview gibt einen Einblick in ihr Leben.

Frau von Grünigen, Ihr Vater und Ihre Mutter haben ebenfalls beim Radio Spuren hinterlassen. War ein Beruf beim Radio schon immer ein Kindheitstraum, ein Plan oder nur ein Zufall?


Ein Medienberuf war kein Kindheitstraum, aber Medien und vor allem das Radio haben viel Platz am Familientisch eingenommen. Das Thema war natürlich allgegenwärtig. Es war aber nicht so, dass mich meine Eltern gedrängt haben, in ihre Fusstapfen zu treten.

Wieso kam es trotzdem dazu?

Ich wollte eigentlich nicht das Gleiche wie meine Eltern machen und habe mich immer wieder einmal gefragt, was wohl aus mir ohne diese familiäre Prägung geworden wäre. Man attestierte mir schon als Teenager, dass ich gut formuliere, etwas auf den Punkt bringen kann. Da ich Freude am Schreiben hatte, absolvierte nach der Matura ein Journalismus-Praktikum.

Sie landeten dann aber nicht bei einer Zeitung, sondern wirklich beim Radio.

Ich interessierte mich für eine berufsbegleitende Ausbildung am Medienzentrum, durfte die jedoch nur besuchen, wenn ich parallel bei einem Medienunternehmen angestellt war. Also bewarb ich mich bei mehreren Unternehmen und entschied mich 1999 für ein Angebot bei VIRUS, dem damals neu gegründeten Jugendradio von SRF (Schweizer Radio und Fernsehen). Ein Angebot bei einem Printmedium lehnte ich damals ab, da ich befürchtete, dort meine Kreativität und Verspieltheit nicht ausleben zu können. Fernsehen als Medium interessierte mich nie – auch, weil ich nicht zu einem öffentlichen Gesicht werden wollte.

Frau von Grünigen, Sie bezeichnen sich als Optimistin. Wie kam es dazu?

Das habe ich vermutlich von meinen Eltern. Meine Mutter ist eine Menschenfreundin, sie sucht nicht nach dem Haar in der Suppe, jammert und stänkert nicht und ist extrem tolerant. Das hat mich geprägt!

Wie merken Sie das?

Ich versuche, genau so offen auf die Menschen zuzugehen. Schon als Jugendliche haben mir wildfremde Menschen an der Bushaltestelle ihre Lebensgeschichte erzählt, auch Obdachlose, Junkies, Menschen auf der Schattenseite des Lebens. Auch heute schaue ich nicht weg, sondern suche das Gespräch. Im Laufe meiner Arbeit beim Radio merkte ich immer mehr, dass neben Kreativität auch Leidenschaft und Empathie zu meinen Stärken gehören und ich bei allen Tätigkeiten den Menschen in den Mittelpunkt stellen will. Es ist für mich auch immer wieder eine Freude, im Radiostudio mit Gästen oder am Telefon mit Hörerinnen und Hörern zu sprechen.

Liebe, Respekt und Toleranz sind aus meiner Optik die Werte, die gelebt werden müssen, damit wir in dieser Welt an einem Strick ziehen.

Franziska von Grünigen

War das der Grund, dass Sie dann 2008 bei der Sendung «nachtwach» einstiegen? Eine Sendung, welche jeweils um Mitternacht Lebens- und Alltagsgeschichten, Erlebnisse, Träume und Ängste aufgriff.

Dieses Format des Nighttalks sagte mir von Anfang an zu und ich war sogar beim Casting für den Moderationsjob. Das klappte zwar nicht, dafür bekam ich kurz nach dem Start der Sendereihe die Anfrage, ob ich für zwei Monate die Funktion der «nachtwach»-Produzentin und Team-Leiterin übernehmen könne. Aus diesen zwei Monaten wurden dann zwölf Jahre. Als Produzentin war ich unter anderem verantwortlich für die Themenwahl, den Sendeablauf und die Koordination mit den anderen SRF-Redaktionen. Das war für mich der Traumjob schlechthin: Ich war nahe an den Menschen und ihren berührenden, manchmal traurigen, manchmal heiteren Geschichten, konnte meine Multi-Taskingfähigkeiten hinter der Kamera ausleben und lernte auch die nachdenkliche Seite der Schweiz kennen.

«nachtwach» wurde 2018 und nach über 3000 Geschichten aus Spargründen eingestellt und Sie verloren Ihre Stelle. Eine Reportage im deutschen Fernsehen gab Ihnen dann aber einen Input für Ihre neue berufliche Ausrichtung. Thematisch aus meiner Optik eigentlich ein logischer Schritt!

Ich sah eine Dokumentation über ein deutsches Projekt, das die Lebensgeschichte schwerstkranker Eltern für deren minderjährige Kinder festhält. In diesen akustischen Hinterlassenschaften erzählen die Eltern mit ihrer Stimme und ihren Worten wichtige Episoden aus ihrem Leben, geben Antworten auf die kleinen und grossen Fragen ihres Lebens. Diese Reportage hat mich elektrisiert und ich wusste sofort: Das will ich in der Schweiz auch anbieten. Ich war überzeugt, dass ein akustisches Vermächtnis, nicht nur im Falle schwerstkranker Eltern, ein Geschenk für die Ewigkeit darstellt und habe dann eine entsprechende Weiterbildung in Deutschland besucht. Aus diesem Impuls entstand meine Audiobiografie-Firma «Mein Nachklang» sowie der gemeinnützige Verein «Hörschatz». Meine Fähigkeit und Freude, mit allen Leuten über alle Themen sprechen zu können, aber auch zuzuhören, hilft mir bei meiner Arbeit sehr.

Wie unterscheiden sich diese beiden Angebote?

Der Verein «Hörschatz» vermittelt Audiobiografien für schwerstkranke Eltern mit minderjährigen Kindern. Die Hörschätze sind spendenfinanziert und für betroffene Eltern in der Schweiz kostenlos.
Mit «Mein Nachklang» produziere ich Audiobiografien und akustische Erinnerungen für alle – ob jung, alt, krank oder kerngesund. Da muss eine Audiobiographie nicht zwingend im Zusammenhang mit einem bevorstehenden Tod stehen, auch ein wichtiger Schritt im Leben bietet Gelegenheit, inne zu halten, mit den eigenen Worten über die Vergangenheit zu reflektieren und sich Gedanken über die Zukunft zu machen.

Wie muss man sich eine Audiobiografie vorstellen?

Wenn ich für den Verein Hörschatz mit jungen Menschen kurz vor dem Lebensende Aufnahmen mache, dann tauchen wir für ein paar Stunden nochmals gemeinsam ins pralle Leben ein und halten fest, was für die Kinder einmal wichtig werden könnte: Von den Wurzeln der Eltern über gemeinsame Anekdoten, Erlebnisse, Familienrituale bis hin zu Gutnacht-Liedern, welche die Mütter und Väter für ihre Kinder singen, damit sie für immer festgehalten sind. Was möchte ich meinen Kindern hinterlassen, was sollen sie von mir wissen und in Erinnerung behalten? Früh verstorbene Eltern schaffen so ihren Kindern eine sehr persönliche Hinterlassenschaft für die Ewigkeit. Für die Erzählenden sind diese Aufnahmen oft auch eine Kraftquelle, aber auch eine Genugtuung. Sie realisieren durch diese Rückschau aufs Leben, was sie alles erreicht haben. Für die Hinterbliebenen wird der Hörschatz später zu einem wichtigen Teil der Trauerbewältigung.
Die Nachklänge sind so individuell, wie die Menschenleben es auch sind und richten sich in der Machart nach den Vorlieben meiner KundInnen. Wer es gerne spielerisch mag, den konfrontiere ich mit meinen «50 Fragen ans Leben», beispielsweise «Wo wärst du gerne mutiger gewesen?» oder «Welche Entscheidung hat dein Leben nachhaltig verändert?».

Haben Sie eine Lieblingsfrage?

Müsste ich mich entscheiden, wäre es wohl: «Vor was hast du keine Angst mehr?». Diese 50 Nachklangfragen regen zu Reflexion an und erleichtern es, sich an wichtige Momente und Erfahrungen des Lebens zu erinnern, an Herausforderungen, wichtige Weichenstellungen und Hoffnungen.

Der Mensch steht für Sie im Mittelpunkt, die Menschheit steht vor grossen Herausforderungen. Was wäre für Sie die Basis, damit diese Probleme erfolgreich angegangen werden können?

Seid lieb zueinander! Liebe, Respekt und Toleranz sind aus meiner Optik die Werte, die gelebt werden müssen, damit wir in dieser Welt an einem Strick ziehen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Photo © by Photographer Michael Bigler, Switzerland

Roland Fitze

AESCH | Switzerland

Als pensionierter Ökonom, welcher sich für Schweizer Geschichte interessiert, trifft man Roland des Öfteren auch mal im Hörsaal der Universität Basel. Langeweile sind für ihn ein Fremdwort. Neben Fussball (FC Basel!) und Reisen gehört auch das Schreiben von Krimis zu seiner grossen Leidenschaft.

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