Ist Seoul eine fahrradfreundliche Stadt?

Was man als Radfahrer auf den Stassen von Seoul erleben kann, und warum Yeonjoon Koh 고 여준 immer wieder den Zahnbohrer gegen sein Fahrrad tauscht.

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Oft stelle ich fest, dass man ausserhalb Koreas den Eindruck hat, Koreanerinnen und Koreaner können nicht Fahrrad fahren. Das stimmt nicht. Radfahren hat sich neben Wandern in Korea zu einer der beliebtesten sportlichen Freizeitaktivitäten entwickelt. Die Regierung bewirbt und fördert Radfahren aktiv, in dem sie die Fahrradinfrastruktur umfangreich ausbaut. So findet man entlang der grossen Flüsse, wie dem Hanggang (Han-Fluss), sehr gut ausgebaute, zum Teil sogar zweispurige Radwege, welche auf mehr als 860 Kilometern fantastische Möglichkeiten zum Radfahren bieten.

Fahrradfahren entlang des Han River ist bei Koreanerinnen und Koreanern sehr beliebt. | Photographer Daniel Thomas Faller

Als ich vor einigen Jahren nach Korea zog, war es eine weise Entscheidung, neben einigen Büchern und Möbel auch mein Fahrrad in die Umzugskiste zu packen. Im Gegensatz zu den Büchern, die im Regal vor sich hinstauben, steht mein „Bike“ fast täglich im Einsatz. Sei es für eine sportliche Aktivität, entlang des Han Flusses, oder zur Erkundung neuer Quartiere und abgelegener Orte. In einer Stadt wie Seoul ist man mit dem Fahrrad sehr flexibel, man kann den Stau locker umfahren und braucht kein Vermögen für Parkplätze.

Ich wohne in der Nähe des Han Flusses, also liegt das „Biker Paradies“ vor meiner Haustüre. Entlang des Han sind die Wege lediglich für Fußgänger und nichtmotorisierte Zweiräder erlaubt. Allerdings gibt es da noch ein kleines Problem. Zwischen meinem Haus und dem Fahrradweg befindet sich nämlich eine Hauptverkehrsachse, die ich überqueren muss, was oft zu einer lebensgefährlichen Herausforderung wird. Will ich mein Bike nicht auf dem Fussgängerweg vor mich herschieben, muss ich auf diesem Streckenabschnitt die dreispurige Strasse mit den hochmotorisierten Verkehrsteilnehmern teilen. Ein waghalsiges Unternehmen. Denn als Fahrradfahrer wird man nicht akzeptiert, was die Sache sehr gefährlich macht. Von der sonst typisch koreanischen Freundlichkeit ist hier nicht zu merken. Es wird gehupt und man wird mit bösen Blicken gestraft.

Erreiche ich schlussendlich den Radweg am Flussufer, kann ich jedoch in eine andere Welt abtauchen. Flora, Fauna unendlich viele Radwege, zahlreiche Freizeit- und Sportanlagen werden von den jeweiligen Gemeinden in Seoul und deren Mitarbeitern mit viel Liebe zum Detail permanent gepflegt. Besonders im Frühjahr und im Herbst werden die kilometerlangen Fahrradwege von einer unvorstellbaren Blumen- und Pflanzenpracht umsäumt. Machen sich Hunger und Durst bemerkbar, muss Luft in die Fahrradreifen gepumpt oder wird der Service eines Fahrradmechanikers benötigt, bekommt man rasch Hilfe. Die Infrastruktur lässt keine Wünsche offen und ist in ihrer Art einzigartig. Entlang der Strecke befinden sich in regelmässigen Abständen öffentliche Toiletten, die sauber und im Winter sogar geheizt sind, Kioske mit Verpflegungsmöglichkeiten, Outdoor-Fitnessanlagen sowie Pumpstationen und sogar kleinere Fahrradwerkstätten. Und da eine Stadt, wie Seoul, nie „schläft“, sind die meisten Einrichtungen vierundzwanzig Stunden in Betrieb. Besonders in der heissen Sommerzeit sind auch in der Nacht viele Biker unterwegs. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass an den Wochenenden sehr viel Betrieb auf den Fahrradwege entlang des Han Flusses ist. Unzählige Menschen verbringen dann ihre Freizeit auf und neben der Fahrradstrecke. Darunter gibt es auch Viele, die sich beim öffentlichem Fahrradverleihsystem Ttareungyi 따릉이 für einige Stunden ein Fahrrad leihen. Einige beachten die Verhaltensregeln auf Fahrradwegen nicht und konzentrieren sich beim Fahren, statt auf die Strasse, auf ihr Smartphone und vergessen dabei die Welt um sich herum. Daher ist es nicht erstaunlich, dass immer öfters Krankenwagen im Einsatz vor Ort anzutreffen sind…

Ich wollte etwas mehr über die Fahrrad-Kultur in Korea erfahren und ich habe mich deshalb mit dem passionierten Biker und Zahnarzt, Yeonjoon Koh 여준 (56) unterhalten.

Du hast mit deinem Fahrrad schon einige Länder erkundet. Wie unterscheidet sich Korea von anderen Ländern?

Die Infrastruktur der Fahrradwege ist in Korea einzigartig. Besonders aber schätze ich die öffentlichen Toiletten, welche kostenlos sind. Wenn ich da an meine Bike Touren in Europa zurückdenke, war die – vor allem in städtischen Gebieten – wegen des fehlenden Kleingeldes immer eine grosse Herausforderung. Hingegen in Europa schätze ich das Zusammenspiel der Fahrradfahrer und den restlichen Verkehrsteilnehmern, da beide Parteien die Verkehrsregeln (meistens) einhalten. Fahrräder werden auf der Strasse akzeptiert, was auf den Straßen von Seoul leider oftmals nicht der Fall ist.

Viele Biker lassen sich von bekannten Instagrammern inspirieren. Sie leisten sich die teuerste Ausrüstung, um später das perfekte Bild auf den Sozialen Medien zu posten.

Yeonjoon Koh 고 여준

Mit dem Fahrrad zur Arbeit. Ist das für dich ein Thema?

Führt meinen Arbeitsweg, durch das Zentrum der Innenstadt, ist das Fahrrad für mich keine Option. Heute gibt es aber viel mehr Radwege in der Innerstadt als noch vor ein paar Jahren. Diese werden von anderen Verkehrsteilnehmern oft missachtet und für ihre Zwecke verwendet, z.B. als Parkplatz. Viel zu gefährlich. Ich bin der Ansicht, dass einige europäische Städte auf diesem Gebiet viel fortschrittlicher sind. Ein anderer Grund, warum viele Koreanerinnen und Koreaner nicht mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, ist, dass keine Duschen und Umkleidemöglichkeiten am Arbeitsplatz vorhanden sind. Dies wäre insbesondere während des Sommers und der damit verbundenen hohen Luftfeuchtigkeit sehr praktisch.

Woher nimmst du die Motivation zum Radfahren?

In früheren Jahren bin ich sehr bewusst und systematisch Rad gefahren. Mein damaliger Arbeitsort war nur etwa 20 Minuten entfernt. Ich habe die Hin- und die Rückfahrt als Trainingseinheit genutzt und bin auf Umwegen gefahren. So trainierte ich jeden Tag mindestens zwei Stunden.

An deinem Arbeitsplatz gab es Duschmöglichkeiten?

Lacht. Ja, das war ein Glücksfall. Radfahren und Sport allgemein sind für mich sehr wichtig. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass meine Kunden schätzen, wenn „ihr Zahnarzt“ in einer guten Kondition ist.

Oftmals sehe ich Fahrradgruppen, welche von Kopf bis Bike top ausgerüstet sind. Sind dies alles Profibiker“?

Die Frage will ich nicht generell verneinen. Doch zeichnet sich in den vergangenen Jahren ein Trend. Viele Biker lassen sich von bekannten Instagrammern inspirieren. Sie leisten sich die teuerste Ausrüstung, um später das perfekte Bild auf den Sozialen Medien zu posten. Im Gegensatz zu den sportlichen Bikern steht bei ihnen primär das Bild im Vordergrund. Es gibt aber auch einige motivierte, sportliche Gruppen. In den letzten Jahren wurde das sogenannte Nambuk riding 남북라이딩 (36km, 756 Höhenmeter, Strasse) immer beliebter. Die Biker treffen sich in Banji und bestreiten in Gruppen einen Rundkurs von Hannam-dong Richtung City Hall – GyongbukgungBugak skyway. Solche Gruppen sieht man rund um die Uhr. In den Sommermonaten sind auch Nachttouren sehr beliebt.

Ausdauersport ist für den Zahnarzt und Radfahrer Yeonjoon Koh 고 여준 sehr wichtig. | Photographer Daniel Thomas Faller

Welche Rundkurse und Touren stehen bei dir noch auf dem Programm?

Früher habe ich so einiges erreicht. Manchmal gibt es aber heute noch Tage, an denen ich meine Grenzen ausloten möchte. Da kann es vorkommen, dass ich 180 Kilometer an einem Stück zurücklege. Doch im Vordergrund steht für mich heute vorrangig die Gesundheit und der Spass am Fahrradfahren.

Wie wir uns fühlen, wenn wir uns mit dem Fahrrad auf Seouls Strassen wagen. Was man so alles erleben kann, wenn man mit dem Fahrrad von Seoul nach Busan fährt und wie spannend es sein kann, wenn man die Insel Jeju mit dem Fahrrad entdeckt. In unserer dreiteiligen Serie berichten wir über unsere Erlebnisse rund um das Fahrradfahren in Korea.

Daniel Thomas Faller

SEOUL | Korea

Daniel ist der Gründer des Schauplatz Korea Magazins, Chefredakteur und kreativer Leiter. Er ist gebürtiger Schweizer und Korea-Liebhaber, der in Seoul lebt. Daniel interessiert sich für die Geschichten und Projekte von Menschen und hat eine Leidenschaft für visuelle Kunst und Fotografie. Gerne lässt er sich von Makgeolli verführen...

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