Eine Leidenschaft für Tofu

Warum es Eun-Ji Lee 이은지 nach 2 Jahren Ochang wieder zurück aufs Land zieht und wie ihr der Spagat zwischen Tradition und Moderne gelingt.

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Sehr gerne erinnere ich mich an die Zeiten, als ich am Samstagmorgen, irgendwo in der Schweiz, einen typischen Markt mit frischem Gemüse vom Bauern, Sonntagszopf von der Bäckersfrau oder Honig vom Imker aus der Region besuchte. Gibt es sowas ähnliches auch in einer Weltstadt wie Seoul?

Wie oft im Leben, spielt auch bei diesem Erlebnis der Zufall mit. Vor einiger Zeit entdeckte ich in meiner Nachbarschaft, Hannam-dong, ein Geschäft mit koreanischen Lebensmitteln und Spezialitäten. Der Besitzer des Ladens erklärte mir, dass seine Waren ausschliesslich von Biobauern aus der weiteren Umgebung sind. Auch informiert er mich, dass jeden Samstag in der Stadt Seoul ein Farmer‘s Mark stattfindet, bei welchem die Bauern ihre Waren direkt verkaufen. Ob ein Besuch des Farmer’s Market bei mir die gleichen Gefühle, wie damals auf dem Schweizer Markt, auslösen wird?

Als ich noch in derselben Woche den Farmer’s Market in Dongsung-dong aufsuchte, entdeckte ich einen kleinen, unscheinbaren Verkaufstand. Eine Koreanerin verkaufte in kleinen, quadratischen Behältern Tofu. Sie erzählte mir, dass sie einmal pro Monat nach Seoul komme, um am Markt ihre Produkte zu verkaufen. Und so kam es, dass ich Eun-Ji Lee 이은지 (36) in Goesan, der Provinz Chungcheongbuk-do, besuchte.

Eun-Ji, für den Weg von Goesan nach Seoul benötigt man mehr als zwei Stunden. Warum dieser Aufwand?

Ich möchte unseren selbstgemachten Tofu den Menschen in der Stadt schmackhaft machen. Der Farmer‘s Markt ist eine ideale Plattform, bei der wir Bauern unsere biologischen und nachhaltigen Produkte vorstellen und verkaufen können. Zudem liebe ich den Kontakt mit den Menschen.

Tofu kann ich in Seoul an jeder Ecke kaufen…

Ja, und genau da liegt der Unterschied. Viele Leute kaufen den Tofu im Supermarkt oder bestellen diesen Online. Bei der Qualität gibt es aber deutlich erkennbare Unterschiede. Unsere Produkte werden täglich frisch hergestellt – ohne Zusatz- und Konservierungsstoffe.

Das ist der einzige Unterschied?

(lacht) Wir bewirtschaften die Landwirtschaft und pflanzen die Sojabohnen selbst an. Im Gegensatz zu den meisten Produzenten, verwenden wir allerdings bei der Zubereitung weniger Wasser. Dies und ein paar andere Geheimnisse geben unserem Tofu eine spezielle Note. Unsere Kunden schätzen den Tofu besonders, weil dieser sie an ihre frühere Kindheit erinnert. Damals nämlich wurde der Tofu noch von Hand hergestellt.

In einem Prozess mitwirken zu können, indem etwas Neues, Natürliches entstehen kann, gibt mir viel Energie und macht mich glücklich.

Eun-Ji Lee 이은지

Seit ihr ein grosses Unternehmen?

Wir sind ein kleines Familienunternehmen, bestehend aus meinen Eltern und mir. Pro Tag produzieren wir gegen 90 kg Tofu. Jeden Morgen, sieben Tage in der Woche, stehen meine Eltern jeweils um drei Uhr in der kleinen Produktionshalle und stellen Tofu her. Ich stosse dann in der Regel etwas später zur Produktion und unterstütze sie bei der Verpackung. Am Vormittag werden dann die Lieferanten und Stammkunden in der näheren Umgebung beliefert. Ausserdem bin ich auch für den Vertrieb, das Marketing und die Kommunikation verantwortlich. Unsere Produkte kann man auch online bestellen. Dies jedoch nur im Winter, da im Sommer die Temperaturen in Korea zu heiss sind und frisch zubereiteter Tofu in der Regel nur ein paar Tage haltbar ist.

Der Tofu wird unter Druck gepresst, damit er seine Konsistenz erhält. | Photographer Daniel Thomas Faller
Frisch abgepackter Tofu 순두부 – bereit zum Verkauf. | Photographer Daniel Thomas Faller

Wie kommt es, dass Du im Familienunternehmen mitarbeitest?

Nach meinem Studium, an der Yonsei Universität, habe ich in Ochang in einer grösseren Firma im Bereich Mitarbeiterschulung gearbeitet. Ich suchte jedoch nach einer anderen Art von Herausforderung und wollte die Werte, welche für mich wichtig sind, entdecken. Meine Arbeit war in dieser Zeit zu „kopflastig“. Ich suchte nach einer Aufgabe, bei der ich vermehrt etwas mit meinen Händen herstellen konnte. Meine Berufung fand ich schliesslich im Betrieb meiner Eltern. In einem Prozess mitwirken zu können, indem etwas Neues, Natürliches entstehen kann, gibt mir viel Energie und macht mich glücklich. Zudem wollte ich wieder zurück zu meinen Wurzeln, dorthin wo ich geboren wurde und aufgewachsen bin. Auch liegt mir viel daran, traditionelles Handwerk zu erhalten und es weiterzugeben.

Wie haben deine Eltern reagiert, als du bei ihnen im Familienunternehmen einsteigen wolltest?

Am Anfang waren meine Eltern der Idee nicht begeistert. Ich habe einen Universitätsabschluss von einer der besten Unis in Seoul und hatte einen guten Job. Doch haben sie ihre Meinung rasch geändert und mich herzlich in ihrem kleinen Unternehmen aufgenommen.

Bei uns gibt es im eigentlichen Sinne keinen Chef, es zählt das Team. Doch auch bei uns gibt es ab und an Differenzen und unterschiedliche Ansichten. Meine Eltern sind schon seit einiger Zeit im Tofu Geschäft. Sie sind ein eingespieltes Team und alles funktioniert recht gut. Über Veränderungen oder Innovationen wird daher in der Regel nur wenig gesprochen. Es braucht viel Überzeugungsarbeit von meiner Seite her, um neue Ideen einzubringen und zu realisieren. Dazu kommt die Herausforderung, dass in der südkoreanischen Kultur der Respekt gegenüber den Eltern sehr wichtig ist. Da ich schon viele positive Veränderungen realisieren konnte, gelingt es mir als wie einfacher, meine Eltern von neuen Inspirationen zu überzeugen. Erst kürzlich konnte ich die Vermarktung ausbauen und einen Onlineshop eröffnen.

Gibt es euer Familenunternehmen schon lange?

Meine Eltern betrieben vor langer Zeit in ihrem Haus einen kleinen Supermarkt. Neben dem üblichen Sortiment verkauften sie auch frisch zubereiteten Tofu. Dieser wurde von den Kunden sehr geschätzt, was sie dazu motivierte mehr zu produzieren. Und so kam es, dass sich meine Eltern sich vor 13 Jahren dazu entschieden haben, den Supermarkt aufzugeben, um sich ganz auf das Produkt Tofu zu konzentrieren.

Ihr seid mit eurer Tofu Produktion sehr erfolgreich. Wie geht es weiter?

Wir sind mit unserem kleinen Familienunternehmen sehr glücklich. Ambitionen, unser Unternehmen zu vergrössern haben wir keine. Wir bleiben klein, fein und authentisch. Die Qualität unseres Produktes liegt uns am Herzen.

Viele Mensch – vor allem in der westlichen Welt – sind der Ansicht, Tofu schmecke nach nichts.

Das stimmt nur teilweise. Tofu, welcher in grossen Fabriken hergestellt wird, ist mit Konservierungsstoffen und viel Wasser versetzt. Das führt dazu, dass er etwas geschmacklos schmeckt. Bei frisch hergestelltem Tofu ist das anders. Kommt hinzu, dass wir traditionelle, eigene Rezepte für die Herstellung unseres Tofus verwenden.

Tofu ist in der koreanischen Küche ein wichtiger Bestandteil. Vergleichen wir es etwa mit der Kartoffel in der Schweiz, gibt es einige Gemeinsamkeiten. Ich denke da vor allem an Eintopfgerichte und Suppen. Wie wird Tofu primär verwendet?

Tofu ist sehr reich an Proteinen. Es ist ein pflanzliches Produkt und wird daher auch oft in der vegetarischen und veganen Küche eingesetzt. Man kann Tofu braten, kochen, frittieren oder backen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. In Korea verwenden wir Tofu oft in Eintopfgerichten wie Sundubu Jjigae 순두부찌개 , Kimchi Jiigae 김치찌개 oder knusprig gebraten mit Gochujang 고추장 (scharfer, roter Chilipaste). Tofu wird auch immer als Beilage serviert und darf bei keinem koreanischen Essen fehlen.“

Kommt bei dir jeden Tag Tofu auf den Tisch?

Obwohl ich Tofu sehr mag, esse ich ihn nicht jeden Tag. Für mich gibt es jedoch nichts Schöneres, als wenn ich am Morgen durch den Geruch von frisch zubereitetem Tofu geweckt werde. Ich mag diesen magischen Moment.

Trotz täglicher, harter Arbeit…
…sind sie zufrieden und glücklich! | Photographer Daniel Thomas Faller

Im Anschluss an unser Interview Gespräch und nach einer interessanten Führung und Demonstration der Tofu Produktion hatte ich das Vergnügen, den Tofu frisch von der Presse zu degustieren. Und was ich im Gespräch schon erahnte, hat sich bewahrheitet. Schon beim ersten „Bissen“ bemerke ich den Unterschied. Dieser Tofu überzeugt in Geschmack, in der Konsistenz und in der Frische. Ein Höhenflug für jeden (nicht) Vegetarier. Ich gehe aber davon aus, dass zur Köstlichkeit des Tofus die selbstgemachten Sojasaucen und die Herzlichkeit der Gastgeber beigetragen haben.

Bei der Rückreise nach Seoul war ich in meinen Gedanken nochmals auf dem Farmer’s Market in Seoul. Dass ich dort mit Sicherheit keinen Sonntagszopf finden werde, hat auch sein Gutes. Denn mit grösster Wahrscheinlichkeit ist Tofu für mich auf Dauer die gesündere Alternative.

Daniel Thomas Faller

SEOUL | Korea

Daniel ist der Gründer des Schauplatz Korea Magazins, Chefredakteur und kreativer Leiter. Er ist gebürtiger Schweizer und Korea-Liebhaber, der in Seoul lebt. Daniel interessiert sich für die Geschichten und Projekte von Menschen und hat eine Leidenschaft für visuelle Kunst und Fotografie. Gerne lässt er sich von Makgeolli verführen...

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