Die diesjährige Basler Fasnacht, ein wichtiges immaterielles UNESCO-Kulturerbe meiner Heimatstadt Basel, welche jeweils in den Monaten Februar oder März stattfindet, gehört schon seit ein paar Wochen der Vergangenheit an. Umso grösser war meine Neugier, als ich vor kurzem auf einen Artikel über den bekannten Laternenkünstler Young-ill Jeon 전영일의 gestossen bin. Laternen, welche während der Basler Fasnacht zum Einsatz kommen, sind auch in Korea etwas Besonderes. Man sieht diese oftmals in einem der vielen Buddhistischen Tempel, an Veranstaltungen oder am Lotus Laternen Festival. Schon immer hatte es mich interessiert, wie diese Laternen hergestellt werden, welche Techniken man hier in Korea anwendet und ob es vielleicht sogar Gemeinsamkeiten mit den Laternen der Basler Fasnacht gibt. Ich wollte diesen Künstler unbedingt treffen und kennenlernen. Eine Kollegin war mir bei der Organisation eines Interview Termins behilflich.
Gestern war es nun so weit. Ich setzte mich in mein Auto und bin nach Kwangtanmyeon gefahren. Die Ortschaft befindet sich in der Nähe von Paju, ist sehr ländlich und liegt etwa eine Autostunde im Nordwesten von Seoul. In Kwangtanmyeon angekommen war ich dann trotz meinen koreanischen Navitagionsapp NAVER map anfänglich ziemlich ratlos. Da gab es nur ein paar wenige Häuser und Gebäude in dieser grünen, von Kirschblüten-bäumen besetzter Landschaft. Eine Person nach dem Weg zu fragen war hier zwecklos, da – im Vergleich zu Seoul – diese Gegend menschenleer war. Ich griff zu meinen iPhone und habe Young-ill Jeon angerufen. Doch das sehr kurze Telefongespräch hat mich nicht weitergebracht. “No englischi” tönte es von der anderen Seite. Young-ill Jeon spricht leider nur koreanisch. Ich stieg dann wieder in mein Auto und habe mich dann auf die Suche nach dem Haus des Künstlers gemacht. Nach einer Viertelstunde wurde ich endlich fündig. In einem kleinen Industriequartier, vor grossen, grauen Hallen haben mich Young-ill Jeon und zwei Künstlerinnen seines Teams herzlich empfangen. Das langersehnte Interview konnte beginnen…
Wie wird man Laternenkünstler?
Das war nicht von Anfang an so geplant. Ich habe Kunst an der berühmten Hongik Universität in Seoul studiert. Während meiner Studienzeit habe ich oft an politischen Demonstrationen teilgenommen. Dies hatte bei meiner Jobsuche leider einen negativen Einfluss. Trotz eines sehr guten Abschlusses an einer Top Universität hatte ich grosse Schwierigkeiten eine Arbeitsstelle zu finden. Eines Tages hat mir ein Freund von einem spannenden Projekt erzählt. Ein Buddhistischer Tempel suchte Künstler, welche sich mit dem Bau von Laternen und deren Handwerkskunst auseinandersetzen. Ich habe mich beworben und fand auf diese Weise meinen Weg zum Laternenbauen.
Wie haben Sie dieses Handwerk erlernt?
Einige Grundkenntnisse im Bereich des Kunsthandwerkes habe ich bereits an der Universität erlernt. Vieles musste ich mir jedoch selbst beibringen. Die Kunst des Laternenbauens spielt in der koreanischen Kultur eine wichtige Rolle. Wenn es jedoch um die Akzeptanz dieses Kulturgutes geht, sieht es meiner Meinung nach eher düster aus. Oftmals stelle ich fest, dass die koreanische Gesellschaft ihre eigene Kultur schlecht behandelt. Das kommt auch daher, dass viele Koreanerinnen und Koreaner sich leider meist nur für ausländische Kultur interessieren. So denken auch viele, dass eine Tradition darin besteht, Altes wieder neu herzustellen, um es anschließend in Museen auszustellen.
Hatte dies einen Einfluss auf ihre Weiterentwicklung zum Laternenkünstler?
Absolut. Traditionen müssen von Generation zu Generation überliefert werden. Und da gibt es viele Lücken. Der gesellschaftliche Aspekt trägt sicher seinen Beitrag dazu bei. Es gibt aber auch geschichtliche Lücken, welche auf die Zeiten der japanischen Kolonialisierung während des Koreakrieges zurückzuführen sind. Dies hat meiner Meinung nach einen grossen Einfluss auf das Weiterführen wichtiger koreanischer Kulturhandwerke.
Wie entsteht eine Laterne?
In der Regel bekomme ich von einer Organisation oder Privaten einen Auftrag. Wir besprechen dann die Symbolik, Art und Grösse der Laterne. Anschliessend erstelle ich dann eine Skizze und bespreche diese mit dem Auftraggeber. Bei der Gestaltung der Details habe ich in der Regel freie Hand.
Sprechen wir vom Material, welches für den Bau von Laternen verwendet wird, gibt es eigentlich keine feste Regel. Früher verwendete man für das Grundgerüst Bambus. Da es aber immer weniger Bambus gibt und dieser folglich teurer geworden ist, kommt heute oftmals Metall zum Einsatz. Für die Außenhülle der Laterne verwendet man durchsichtige Materialien wie Seide, Textilien, Plastik oder Papier. Ich persönlich bevorzuge das traditionelle koreanische Hanji Papier, welches ich selbst verarbeite. Es ist von hoher Qualität und daher auch sehr wertvoll und teuer. Als Leuchtmittel verwendet man heutzutage LED-Lichtkörper. Zudem lege ich auch grossen Wert auf umweltfreundliche Materialien.
Es gibt viele verschiedene Arten von Laternen wie zum Beispiel Drachen, Blumen, Buddhistische Tempel. Was symbolisieren diese Laternen?
Viele Laternen haben auf den ersten Blick einen Zusammenhang mit Buddhismus. Wie wir jedoch aus der Vergangenheit wissen, hatten viele dieser Symbole keinen religiösen Charakter. Man wollte damit vielmehr das normale Leben der Bürger darstellen. Eine Schildkörte zum Beispiel symbolisiert ein langes Leben, der Kranich steht für Eleganz. Der Koreanische Drache ist ein Symbol für Weisheit und Gerechtigkeit.
Welche Bedeutung hat das Licht für sie als Laternenkünstler?
Das Licht hat je nach Kultur seine eigene Bedeutung. In westlichen Regionen wird der Begriff Licht sehr oft mit der Sonne in Verbindung gebracht. Wenn wir in Asien über Licht sprechen, meinen wir jedoch das Mondlicht. Denn während das Sonnenlicht auf uns grell und betäubend wirkt, leuchtet das Mondlicht, welches vom Sonnenlicht reflektiert wird, ganz sanft und leicht und erweckt damit ein angenehmes Gefühl.
Wieviel Zeit benötigen sie für den Bau einer Laterne?
Das kommt ganz auf die Grösse der Laterne an. Für eine kleinere Laterne benötige ich einige Tage bis wenige Wochen. Wird es aber eine grössere Laterne, sprechen wir von einem Zeitaufwand von bis zu sechs Monaten. Diese baue ich aber dann meistens mit einem Team von etwa 5 Mitarbeitern.
Dann gehe ich davon aus, dass diese Laternen ihren Preis haben?
Das Handwerk des Laternenbauers ist eine Art Bildhauerei und wird heute als Kunst akzeptiert. Kleinere Laternen kosten heute schnell einmal USD 10‘000 bis 20‘000. Bei den grossen Laternen und Kunstwerken sind wir im Bereich von USD 100‘000 bis 200‘000.
Wie viele Laternen haben sie in ihrer Karriere als Laternenkünstler schon hergestellt?
Lacht – Ich habe sie nicht gezählt. Aber es sind einige…
Was macht man mit den Laternen, wenn das Lotus Lantern Festival beendet ist?
Die Laternen werden im Anschluss an das Festival in Hallen und Tempeln bis zum nächsten Einsatz aufbewahrt. Während dieser Zeit werden die Laternen gewartet und falls nötig repariert. Um Feuchtigkeitsschäden zu vermeiden ist es daher unumgänglich, die Lagerhallen herunterzukühlen und zu entfeuchten.
Sie haben das Kunsthandwerk des Laternenbauens auch Kindern weitergegeben?
Richtig. Früher habe ich Schulkindern beigebracht, wie man Laternen baut. Doch das Interesse und die Nachfrage nach der Laternenbaukunst hat mit der Zeit stark abgenommen. Die Jugendlichen haben heute andere Interessen. Es wird daher leider immer schwieriger, dieses traditionelle Handwerk einer neuen Generation weiterzuvermitteln.
Wo kann man ihre Laternen bestaunen?
Zurzeit kann man diese nur bei mir im Atelier in Kwangtanmyeon. Eine eigene Ausstellung ist jedoch in Planung. Viele meiner Laternen kann man aber auch am Lotus Laternen Festival, welches am 30. April 2022 in Seoul stattfindet, bewundern. Zudem veranstaltet der Laternen Festival Verein immer wieder Ausstellungen, wo man die Laternen bestaunen kann.
Für mich war dieses Interview wieder eine bereichernde Begegnung mit fremden Kulturen und interessanten Persönlichkeiten. Ich habe heute vieles über das koreanische Handwerk des Laternenbauens und deren Geschichte erfahren. Vergleiche ich die „Basler“ Laternen mit den koreanischen stelle ich fest, dass die Materialien und der Zweck sich im Wesentlichen unterscheiden. Zudem ist das Laternenkunstwerk in Korea eine tausend Jahre alte Tradition. Doch eines haben die Laternen gemeinsam. Mit ihrem warmen Licht erhellen sie die Nacht und begeistern somit tausende von Menschen.
Und so mache ich mich nach einem fünfstündigen Aufenthalt in der Region Paju wieder auf den Heimweg nach Seoul. Diesmal ohne Navigationssystem.