Im Jahr 2016 besuchte ich die interessante und aufschlussreiche Ausstellung im National Museum of Modern and Contemporary Art MMCA in Seoul, „Public to Private“. Die Ausstellung zeigte Fotografien der koreanischen Kunst seit 1989. Auch beleuchtete die Ausstellung, wie sich die Fotografie in den letzten drei Jahrzehnten entwickelte, und wie die zeitgenössische koreanische Kunst als einzigartige und reife visuelle Sprache und Form mit anderer zeitgenössischer Kunst interagierte.
1989 war das Jahr, in dem nach der Austragung der Olympischen Sommerspiele 1988 in Seoul, die Liberalisierung von Auslandsreisen stattfand So konnten auch koreanischen Künstler, die in Deutschland oder Frankreich studiert hatten, nach Korea zurückkehren und in der koreanischen Kunstszene aktiv sein.
Heute unterhalten wir uns mit Professor Dongkeun Lee (55), welcher die koreanische Kunstszene mitgestaltet. Er ist ein professioneller Fotograf und künstlerisch geprägt von der Ära der Öffnung Südkoreas zur Welt.

In den letzten Wochen habe ich ihn einige Male in seinem privaten Studio in Busan besucht und wollte etwas über sein Leben als Fotograf sowie sein neustes Projekt, der Arirang Performance Group, erfahren. Die Mitglieder der Arirang Performance Group üben einen Job aus, den es wohl in keinem anderen Land der Welt gibt. Es sind Menschen aus Nordkorea, welche einen Fluss überqueren mussten, um Südkorea zu erreichen und damit ihr Leben riskiert haben. In Südkorea angekommen stellten sie fest, dass das Leben in der neuen Welt gar nicht so einfach ist. Ihnen fehlt es an Erfahrung mit dem Leben in einer kapitalistischen Gesellschaft. Einige von ihnen, man schätzt, dass es etwa 70 bis 80 sind, verdienen ihren Lebensunterhalt als nordkoreanische Künstler in dieser Arirang Performance Group.
Was war der Auslöser, Ihrer Leidenschaft für die Fotografie zu folgen?
In den frühen 80er Jahren gab es nicht viele Orte und Möglichkeiten, etwas über Kunst zu lernen. Als Kind hatte ich jedoch schon immer ein großes Interesse an Museen und besuchte viele Ausstellungen. Ich war 14 Jahre alt, als ich zum ersten Mal das Kulturzentrum der Stadt Busan besuchte. Das Bild einer Fotoausstellung bleibt mir jedoch bis heute speziell in Erinnerung. Es hat den Titel „Morgen in Shinwoalri“ und erhielt vom damaligen Koreanischen Präsidenten einen Preis. Beim Anblick der ländlichen Szenerie, welche einen Bach im Nebel mit einem Mann auf einem Fahrrad zeigte, lösten bei mir starke Emotionen aus. Dieses Foto berührte mich so stark, dass ich den starken Wunsch entwickelte, selbst ein berühmter Fotograf zu werden. Also bat ich meine Mutter, mir eine Kamera zu kaufen. Auf einem traditionellen Markt in Busan kaufte sie mir meine erste Kamera, eine „Olympus Pen“, eine automatische, einfache und billige Kamera (똑딱이). Dies war der Anfang meiner Karriere und ich begann, meinen Traum in die Realität umzusetzen.
Die koreanische Fotoszene wurde von dokumentarischer und journalistischer Fotografie dominiert, die im Realismus verwurzelt war.
Ausstellung 2016 im National Museum of Modern and Contemporary Art Korea, Seoul
Wie war es damals, Fotografie zu studieren?
Am Anfang war es mehr ein Hobby, welches ich bis zur Oberstufe betrieben habe. Meine Eltern waren nämlich der Meinung, dass man mit dem Beruf des Fotografen seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann. Also habe ich zunächst Wirtschaftswissenschaften studiert und eine Management-Karriere angestrebt. Im Alter von 30, habe ich mich aber definitiv entschieden, meinen Traum zu verwirklichen und das Studium für Fotografie angefangen und erfolgreich abgeschlossen.
Was war die grösste Herausforderung bei der Verwirklichung Ihrer Leidenschaft?
Zu dieser Zeit war ich verheiratet und hatte schon ein Kind. Ich tausche einen gut bezahlten Job gegen eine Zukunft voller Ungewissheiten. Einerseits war es eine finanzielle Herausforderung, anderseits waren da die Bedenken, wie ich später meine neu erworbenen Fähigkeiten als professioneller Fotograf richtig einsetzen würde. Selbstzweifel und Angst waren für mich ein Antrieb, gleichzeitig jedoch auch eine Belastung. Immer wieder stellte ich mir die Frage, wie ich rasch greifbare Resultate erzielen konnte.
War der Beruf des Fotografen zu dieser Zeit in Korea exotisch?
Ja, auf jeden Fall. In den 1980er Jahren war es ganz etwas Besonderes, mit Fotos Kunst zu machen. In Korea hat Kunstfotografie noch keine lange Tradition.



Mit Ihren Projekten „An invitation“ (internationale Heiratsmigrantinnen) und zuletzt „Arirang Performance Group“sprechen Sie auf visuelle Art Tabuthemen an. Was wollen Sie mit Ihren Arbeiten erreichen?
Wir alle leben gemeinsam auf der Welt. Ich hoffe und wünsche mir, dass die Menschen auch erkennen und sehen, dass es ausgegrenzte Mitmenschen in schwierigen Situationen gibt. Mit meinen Projekten möchte ich diesen Mitmenschen ein Gesicht geben. Aufzeigen, wie sie sich fühlen, wie sie leben, ihnen eine Plattform bieten, um zu kommunizieren. Meine Projekte sollen die Menschen aller Gesellschaftsschichten erreichen und sie dazu bewegen, sich mit dem Sinn des Lebens auseinanderzusetzen.


In Ihrem neuesten Projekt „Arirang Performance Group“ haben Sie viele berührende Geschichten porträtiert. Gibt es eine Bestimmte, die Sie gerne mit uns teilen würden?
Ja, die von Yerin. Sie hat auf der Flucht aus Nordkorea bei der Überquerung des Flusses Tumen ihren Vater und ihre Schwester verloren. Sie wurde von chinesischen Menschenhändlern entführt und ins ländliche China verkauft. Nach der Geburt ihres Kindes und 15 Jahren Wanderschaft in China, konnte sie sich in Südkorea niederlassen. Politik, Ideologie und Nationalismus stehen auf der koreanischen Halbinsel im krassen Gegensatz zueinander. Viele Dinge können das Leben eines Einzelnen beeinflussen. Besonders dann, wenn man die Situation nicht unter Kontrolle hat und das Leben anderer riskiert. Dann wird die Reise für ein besseres Leben zur Büchse der Pandora.

Ein genauer Blick auf Lees Fotografien zeigt, dass der Kitsch nicht den weiblichen Nordkorea-Flüchtlingen der Arirang Performance Group gilt, sondern den südkoreanischen Organisatoren und dem Publikum.
JIEHYUN LIM, Professor Department of History, Sogang University, Seoul

Was sind Ihre nächsten Projekte?
Mit der Pandemie sind leider einige Fotoprojekte verschoben worden. Portraits von adoptieren Menschen oder Koreanische „Grenzgänger“ sind nur einige meiner nächsten Projekte, welche sich vorerst nur in meinen Gedanken entwickeln. Und ich hoffe, dass ich dieses Jahr die Frankfurter Buchmesse besuchen kann. Dort wird unter anderem auch mein neuestes Fotobuch „Arirang Performance Group“ präsentiert.
Europas wichtigste Messe für Bücher, Medien und Verlage, findet vom 20. bis 24. Oktober 2021 in der Messe Frankfurt statt.
Vielen Dank für das Interview.

Dongkeun Lee ist 1966 in Busan geboren und Absolvent der Kyungsung University, Graduated School of Multimedia. Schon in jungen Jahren interessierte sich Lee für diejenigen, die am Rande der Gesellschaft leben. Dies ist nur einer von vielen Gründen, warum er soziale Minderheiten fotografiert. Derzeit konzentriert er sich auf den Prozess der Verteilung und die daraus resultierenden Flüchtlinge im Kontext Nordostasiens, vor allem innerhalb der koreanischen Halbinsel. Im speziellen fotografiert er die Diaspora, international verheiratete Migrantinnen und deren Familien sowie nordkoreanische Überläufer. Lee hatte bis heute neun Einzelausstellungen und nahm an zahlreichen Gruppenaustellungen teil. Speziell dabei zu erwähnen sind die Einzelausstellung „An Invitation“ (KT&G Sangsanmadang Gallery, Seoul,“2013) und die Teilnahme an der Gruppenaustellung der „Photoville 2019“ in New York. An der 10. Ilwoo Photography Awards 2019 gewann er in der Kategorie „bester Dokumentarfilm“. Und er wurde als Finalist für das 5. KT&G Sangsanmadang Korean Photographer’s Fellowship (SKOPF) ausgewählt. Die Arbeiten des Künstlers sind im KT&G Sangsangmadang und im Dong Gang Museum of Photography Yeongwol zu bewundern. Er hat Fotografie an vielen Universitäten und Museen gelehrt und ist derzeit außerordentlicher Professor an der Kyungsung Universität. Dongkeun Lee lebt und arbeitet in Busan.